Review

Dreamcast-Review

Toy Commander

veröffentlicht am Sonntag, den 20. September 2009
Entwickler
No Cliché
Genre
Action
Erscheinungsdatum
14. Oktober 1999

Es herrscht Spielzeugrevolte, man braucht euch! Plastiksoldaten nehmen Kuscheltiere ins Visier, Panzer fahren auf, setzen Häuser in Brand, Bomber-Repliken werfen explosive Ladungen auf Züge, zwischendrin finden Wettrennen mit Bus und Formel1-Wagen statt - und ihr als Toy Commander müsst wieder Ordnung herstellen. Um das zu erreichen, nehmt ihr je nach Mission in einem oder mehr der über 40 Fahr- / und Flugzeuge Platz. Die steuern sich auch unterschiedlich, so beschleunigt der Jeep recht flott, mittels "R"-Trigger, wobei der "L"-Schalter der Verlangsamung dient. So weit so gut, steuert ihr allerdings mittels beidem und "Analogstick" eine Rampe an, um bspw. ein Extra zu bekommen, kann es sein, dass ihr vorbeirauscht, oder dagegen kracht. Warum? Die Steuerung ist etwas ungenau, das Fahrzeug scheint ein bisschen wie auf Schienen zu fahren -> extrem Arcade-lastig. Zudem fliegt das Vehikel in Kurven nicht um, bleibt also immer schön auf der Linie.

Dennoch habt ihr viel fahrerische Freiheit: Fahrt dank der erwähnten Rampen an der Wand entlang, bis zur Decke, zwischen Cornflakespackungen, oder zwischen der Glut des Kamins. Der "A"-Knopf feuert euer Maschinengewehr ab (unendlich. Munition), der "B"-Button Raketen, Minen oder Bomben, zwischen diesen drei Optionen wählt ihr mit "Y". "X" ist für den etwaigen Fahr/Flugzeugwechsel vorgesehen - im Multiplayer fahrt ihr hierfür einfach in den bereitgestellten Hangar. Ausser den Fahrzeugen könnt ihr selbstverständlich noch Helikopter oder Flugzeuge steuern. Bei den Rotor-Geräten wird allerdings mittels "Analogstick" Gas gegeben. Ihr könnt nach hinten und zur Seite sehen, sowie alles durch Einsatz des "Digi-Kreuz" aus drei Perspektiven an euch vorbeiziehen sehen (inkl. Egoperspektive). Das bringt im Kampfjet plus grossem TV eine geniale Stimmung auf (Thema "Loopings").

Bis auf das MG müsst ihr die offensive Waffen einsammeln, haltet also nach Icons Ausschau. Jede der vier Waffen lassen sich nach dem gleichen System in drei Stufen upgraden, so werden aus den 08/15-Radiergummi-Bomben richtige Tipp-Ex-Hammer, die gehen noch mehr ab und richten mehr Schaden an. Ebenso die 3er Filzstift-Raketen, oder die gelben Super-Reissnägel. Dennoch wäre eine grössere Auswahl, gerade im Multiplayer, sehr vorteilhaft gewesen. Defensive Gimmicks gibt es, sie sind nicht minder nützlich: Der Turbo bringt euch kurzzeitig auf die doppelte, bis dreifache Geschwindigkeit (so entkommt man leichter aus brenzligen Situationen), und an den Sprit muss natürlich auch gedacht werden. Jedes Vehikel verbraucht unterschiedlich schnell Benzin oder hält mal mehr, mal weniger Treffer aus. Die Wahl von eben diesen wird stets vorgegeben, ihr seid zudem gezwungen, zwischen ihnen zu wechseln, denn ein Panzer kann nun einmal keine "Bewohner" befördern, ganz im Gegensatz zu einem "Touristenbus". Achtet aber unbedingt darauf, dass euch die Fahrzeuge nicht zerschossen werden. Und nicht nur darauf, sondern auch auf den Radar rechts oben.

Das Ganze gibt´s bunt serviert, an den verschiedensten Stellen in den insgesamt neun Level (mit jeweils sieben internen Missionen), welche über das ganze Haus verteilt sind; inkl. geheimer Bonusmission nach Spielende. Ihr kämpft euch vor, von der riesig wirkenden "Küche", mit herabstürzenden Joghurtpackungen, einer Maus und Katzenklo, ins "Kinderzimmer", mit Puppenhaus und Befreiung einer Spielzeugstadt von Besatzern, samt zu vernichtenden Gozilla-Verschnitt, befahrbarem Parkhaus und Hochhäusern. Von da an geht´s ins "dritte Level" mit Klo-Waschbeckenverbindungstunnel, Treppe und zu zerstörenden Kakerlaken, samt Muttertier. Ausserdem stinken hier ein paar Turnschuhe, sogar die Spielzeugkühe auf dem Bauerhof fallen in Ohnmacht, ihr müsst das beseitigen! Das "Elternschlafzimmer" ist hingegen von der Architektur her relativ unspektakulär, dank den Missionen aber doch sehr knackig (gebt einem Konvoi Geleitschutz).

In der ´Werk-Garage´ warten Werkzeugbank, Abfluss, ein zweites Zimmer samt PC, und anderen Dingen auf euch: Befreit z.B. die Prinzessin im Wasserschloss und findet den Schatz. In einem der grössten aller Level, dem ´Wohnzimmer´ samt Fernseher, Dreamcast (!), Kaminverbindung, Aquarium, und Cocktailbar. Hier erwarten euch die "spacigsten" Aufträge, wie Planeteneroberung oder Evakuierung und Gefängnisbefreiung. Ein Billiardtisch mit rollenden Kugeln steht hier übrigens auch herum, und auch sonst könnt ihr euch interaktiv betätigen. Auf dem Dachboden rettet ihr einen Freund vor dem Flammentod, indem ihr regelmäßig Wasser ladet und von eurem Löschflugzeug abwerft. Der "Keller" beherbergt schließlich alle übrig gebliebenen Endbosse, samt Oberchef "Hugolin der Bär".

Jedes Level wartet nämlich mit einem Endboss auf, den ihr meist in mehrere Teile zerlegen müsst. KI-mäßig ist da nicht viel los, meistens halten die Gegner einfach drauf, komplexere Flug-/ Lenkmanöver seht ihr selten. Habt ihr das bei einem oder mehr geschafft, könnt ihr ihn im finalen Endkampf gegen Hugolin einsetzen. Werden mindestens vier Geschwindigkeitsrekorde in den Missionen gebrochen, und das in jedem Level, wartet die eingangs erwähnte Bonusmission. Mission, Mission.. das bringt uns nicht zur Missionierung, sondern zum Missionbriefing. Das nimmt´s nicht immer sehr genau mit der Erklärung von Primär- und Sekundärzielen. Meist wird irgendwie um den heißen Brei herumgeredet. Ob´s an der Übersetzung lag?

Die angesprochene Interaktivität, ob sinnvoll eingesetzt oder nur aus Spass, wird in Toy Commander sehr gross geschrieben. Alles kann physikalisch relativ korrekt simuliert, zerstört oder umgestoßen werden: Das können Stilglässer sein, oder ein Schwamm, Spülmittel, Toast, Kohlestücke am Kamin, Flaschen, Farbdosen, Spielzeughäuser, Spielzeugautos, Eier oder Besteck. Fast alle zerspringen oder fangen nach Beschuss zu brennen an, bewegen sich, und wackeln noch nach. Oder ihr schaltet die Lichter in den Räumen ein und aus, ärgert die Fische im Aquarium oder die Katze in der Küche (Star Wars AT-AT Feeling...). Wie wär´s mit dem Betätigen des Power-Knopfs am Fernseher? Rollt die Billardkugel ins Loch, schaltet Wasserhahn und Herd ein, oder betätigt den On-Button für den PC.

Sinnvoll eingesetzt wird die Interaktivität auch in den eigentlichen Missionen, bspw. um Eier mittels Panzer im Topf zu kochen, oder Zucker in den Kaffee dank Helikopter fallen zu lassen. Auch wenn sich das alles sehr kreativ anhört, so ist doch ein Grossteil des Spiels Search & Destroy. Das Spiel wird leider mitunter frustig, u.a. weil die Zeit stellenweise knapp bemessen ist. Je nach Mission geben euch auch noch fiese stationäre Geschütze Saures. Bis sich dann mal ein Medikit regeneriert hat, ist euer Flieger samt Fallschirmjägern an Bord schon längst Vergangenheit. Die Steuerung macht bei Balance-Akten auch Zicken: Fahrt mal mit einer der Kisten auf dem Dachbalken, bei gleichzeitger Turbo-Aktivierung... man hat dadurch manchmal das Gefühl, das Fahrzeug nicht richtig zu beherrschen. Das macht sich vor allem in den wenigen Rennaufgaben bemerkbar: Da werden die Schanzen nicht 100%ig genommen, oder aber ständig gegen die Bande gefahren. Mit der Zeit hat aber der Durchschnittsspieler den Bogen raus.

Was hingegen absolut stimmt, ist die Grafik. Detaillierte Texturen auf Postern und glänzenden Oberflächen, Authentizität wird auch durch Beschriftungen auf Anlagen, an der Vorderseite des gigatisch wirkenden Klavierflügels oder auf der im Spiel "versteckten" Saturn/Dreamcast-Konsole (!) erzeugt. Die Reifen der Fahrzeuge bewegen sich, Flugzeuge und Helikopter hinterlassen "Kondensstreifen" an den Flügeln, und die Raketen geben einen Schweif ab. Die Explosionen von Bomben erzeugen einen kleinen Pilz und eine temporäre Brandspur. Auf dem Boden macht sich allerdings das Bi-lineare Flitering deutlich bemerkbar, ist aber zu verschmerzen. Alle Modelle sind realistisch modelliert, nur die Flugzeuge haben an Spielzeug angelehnte Proportionen. Kassiert ihr oder der Gegner zu viele Treffer, fängt das Chassis an in zwei versch. Phasen zu rauchen. Sehr gut gefallen auch andere Details, wie das Modellschiff in der Werkstatt, welches viel grösser als euer Helikopter ist, das ihr aber dennoch umstoßen könnt.

Die wenigen, kurzen Cut-Scenes erzeugen bspw. mit einer kurzen Kamerafahrt über eine Festung, eine dichte Atmosphäre. Auf einen Grossteil der interaktiven Umgebung müsst ihr leider im Multiplayer (1-4 am System) verzichten, war wohl nicht anders machbar. Ansonten punktet der Mehrspieler-Mode trotz der kargen Auswahl an Optionen: Entweder CtFlag, Deathmatch oder Katz und Maus. Hierzu stehen alle erspielten Arenen samt Interaktions-Beschneidung bereit, dafür mit völlig freier Fahrzeugauswahl - super! Ihr könnt euch in Teams aufteilen: Der eine hockt im SU-Jet, der andere lenkt die Walze und schnappt sich die Fahne. Meiner Meinung nach auch heute noch interessant; sicherlich auch dank der interessanten Umgebung und den damit einhergehenden Versteckmöglichkeiten. Zu den üblichen Gadgets gesellt sich dann übrigens auch noch ein Beam-Punkt.

Soundmäßig untermalt wird das alles mit passenden Dancefloor-artigen Pop: Guter Bass und Charts taugliche Melodien erzeugen mal ein Western-Ambiente, mal eine gruselige Stimmung oder einfach nur eine fetzig-lockere Atmosphäre. Ablenken tut das nicht, sondern fügt sich gut ins Spielgeschehen ein. Die Raketen fauchen Star Wars-ähnlich an euch vorbei (je nach Upgrade), genauso wie Maschinengewehr oder ein sich drohend nähernder Bombenteppich. Da kommt besonders im Multiplayer "Kriegstimmung" auf. Moral: Toy Commander ist auch soundtechnisch perfekt auf die Geschmäcker der Spieler abgestimmt. Und sonst? Auf den damaligen Demo GD´s des offiziellen Dreamcast Magazins (und später auf denen der Dreamcast Total) gab es zwei Bonusmissionen zu Toy Commander. In einer steuerte man u.a. einen Weihnachtsmann... bis ins Klo... Ein weiteres Spiel von No Cliché existiert noch auf Dreamcast: Toy Racer. Dies ist ein pures Rennspiel, teils mit den Vehikeln aus Toy Commander plus ein paar Bonuswaffen, und ist eigentlich für Online-Rennen gedacht (offline ziemlich witzlos). 3,- DM pro Spiel gingen damals wenigstens an die Kinderkrebshilfe. Das Entwickler-Team hatte noch vor, den Adventure-Titel Agartha fertigzustellen und zu veröffentlichen. Mangels materieller Mittel seitens SEGA, löste sich das Team auf - schade. 

Fazit von
9
No Cliché - der Name des (inzwischen nicht mehr existenten) Entwicklers ist das eigentliche Programm des Spiels. Spiele mit einer derartigen Detailverliebtheit gibt es viel zu selten. Was für eine Mischung aus Shootem´Up, Racing, Geschicklichkeit, Flug- und Fahrsequenzen! Grafisch schön, technisch sauber und mit motivierendem Multiplayer. Schade, dass der etwas karg daherkommt, und dass die Steuerung nicht immer so will, wie der Spieler. Trotzdem, wer´s nicht hat, der sollte es kaufen, denn: Wie wollt ihr die Welt beherrschen, wenn ihr nicht mal in eurem Kinderzimmer für Ordnung sorgen könnt?
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