Review

Xbox 360-Review

Anarchy Reigns

veröffentlicht am Dienstag, den 08. Januar 2013
Entwickler
PlatinumGames
Genre
Action
Erscheinungsdatum
11. Januar 2013

God Hand war das letzte Spiel, das von den Capcom-internen Clover Studios entwickelt wurde. Es war ein skurriles, abgefahrenes Actionspektakel mit einem unverkennbaren Fokus auf Faustkämpfe. Es wurde von Kritikern belächelt und vom Massenmarkt ignoriert. Und es genießt heute Kultstatus. Ein halbes Jahrzehnt später, Déjà-Vu: Anarchy Reigns erscheint als letztes Spiel der Kollaboration zwischen SEGA und Platinum Games. Letztere sind aus den Clover-Studios entstanden und haben einmal mehr einen skurrilen und abgefahrenen Brawler entwickelt. Verkaufsrekorde wird es nicht brechen – doch gewinnt es abermals die Herzen der Fans?

"Powerstone in HD", "Madworld mit Mutliplayer" – dies sind die beiden häufigsten Umschreibungen für Anarchy Reigns, das unter der Leitung von Masaki Yamanaka entstanden ist. Yamanaka war für den einprägsamen visuellen Stil von Madworld verantwortlich und hat unter Capcom mit Entwicklerlegende Shinji Mikami an Resident Evil 4 gearbeitet. Für Anarchy Reigns nahm er zum ersten Mal die Zügel selbst in die Hand. Beide obigen Aussagen sind gleichzeitig korrekt und inkorrekt, denn Anarchy Reigns teilt einen großen Teil seiner DNS mit den genannten Spielen, bringt aber auch diverse eigene Ideen mit.

Eine davon wäre das Kampfsystem. Wesentlich komplexer als in vergleichbaren Arena-Brawlern – aber immer noch weit von der Tiefe klassischer Beat’em Ups entfernt – liefert es von Anfang an alle möglichen Features auf dem Silbertablett. Anschließend liegt es am Spieler, die ihm gegebenen Fähigkeiten auszuschöpfen oder die Konsequenzen zu tragen. Denn Anarchy Reigns ist Platinum-typisch alles andere als leicht. Kommt man in der Kampagne auf dem normalen Schwierigkeitsgrad noch ohne größere Probleme durch, zeigen die menschlichen Online-Mitspieler keine Gnade. Wer mithalten will, muss auf die harte Tour lernen – und das bedeutet, immer und immer wieder zu sterben. Doch der Reihe nach.

Anarchy Reigns’ Kampfsystem ist eine traditionelle Zwei-Button-Affäre. Leichter Angriff und schwerer Angriff lassen sich mit abwechselndem Timing zu Combos kombinieren. Hält man dabei die linke Schultertaste gedrückt, setzt die Spielfigur ihre Killer Weapon ein – Jack zückt seine Kettensäge, Spezialagentin Sasha beschwört mehrere Eisprojektile – welche wesentlich mehr Schaden verursacht, allerdings an eine limitierte, sich wieder auffüllende Spezialeiste gebunden ist. Combos sind ununterbrechbar, es sei denn, der Gegner opfert einen Teil seiner Lebenspunkte für ein Abwehrmanöver, eine selten eingesetzte, aber äußerst nützliche Attacke. Blocken und Ausweichen beherrscht jeder Teilnehmer im Schlaf. Durch das offensive Gameplay sind beide jedoch stark limitiert; die Abwehrhaltung hält nur wenigen Schlägen stand und wer dreimal hintereinander ausweicht, sieht seinen Charakter für kurze Zeit verharren. Dadurch fördert Anarchy Reigns – vor allem online – den Gedanken, Angriff sei die beste Verteidigung und belohnt agressives Vorgehen.

Ein kurz gebundenes Tutorial erklärt zwar alle Möglichkeiten, die einem das Spiel bietet, doch das Erlernen ist nur in der Praxis möglich. Wer sich ungerne direkt ins Getümmel stürzt, hat mit der Story-getriebenen Kampagne die Möglichkeit, sich nach und nach in das System einzuarbeiten. Der auf zwei Pfade aufgeteilte Solo-Modus – Black Side mit Jack Cayman, White Side mit Leonhardt "Leo" Victorion – erzählt eine ungewöhnlich persönliche und leicht sozialkritische Geschichte über einen vermeintlichen Verräter und findet erst kurz vor Schluss zurück in das klassische, urjapanische Wirrwarr aus meterhohen Bossen und abstruser Inszenierung. Dennoch ist die Kampagne für ein Spiel, dessen Fokus klar auf dem Multiplayer liegt, überraschend unterhaltsam. Die Aufgabenstellung beschränkt sich nicht etwa nur auf reine Gruppen- und 1-gegen-1-Kämpfe, sondern bringt mit Shooter-Einlagen, Checkpoint-Rennen und Beschützermissionen ein wenig Abwechslung in das brutale Spektakel. Vortäuschen kann Platinum dem Spieler allerdings nichts; die einzelnen Level sind die gleichen Arenen, wie sie auch im Mehrspielermodus eingesetzt werden und die Kürze der Geschichte – knapp über 2 Stunden pro Pfad – bestätigt lediglich, dass Multiplayer hier das A und O ist.

Letzterer ist dafür umso vielschichtiger und komplexer. In Ranglisten- oder freien Matches stehen diverse Spielmodi zur Auswahl, darunter klassische Deathmatches, Capture the Flag sowie Duelle mit einem einzelnen anderen Spieler. Aber auch ungewöhnlichere Beschäftigungen wie eine brutale Abwandlung von Handball finden hier Platz. Verbunden wird über ein Matchmakingsystem, das – genügend Mitspieler vorausgesetzt – unkomplitziert und schnell seinen Dienst verrichtet und bis zu 16 Spieler für eine Partie versammeln kann. Wie etwa diverse moderne Ego-Shooter kommt auch Anarchy Reigns mit einem Levelsystem daher, durch das nach und nach sogenannte "Perks" freigeschaltet werden. Diese kommen mit mannigfaltigen Einsatzmöglichkeiten und erlauben es beispielsweise, sich automatisch von gegnerischen Griffen zu befreien oder verstärken lediglich die Angriffskraft. Durch die chaotische Natur des Gameplays fallen diese Verbesserungen nicht negativ ins Gewicht, sondern helfen lediglich dabei, die eigenen Schwächen ein wenig auszugleichen.

Die Charaktere sind indes allesamt konkurrenzfähig. Große, langsame Hühnen sind in Handgemengen oft effektiver – einige von ihnen können mehrere Gegner gleichzeitig greifen –, die schlanken, flinken Charaktere haben hingegen meist in Duellen einen Vorteil und bewegen sich marginal schneller über die Maps. Zwar finden sich in beiden Enden des Spektrums klare Favoriten (Gargoyle und Zero sind enorm effektiv), mit etwas Eingewöhnungszeit kann man jedoch mit jedem Charakter Erfolge feiern. Durch diesen Umstand sowie dank der recht abwechslungsreichen Charakterdesigns kommt es auch selten vor, in einer Lobby mit unzähligen Klonen zu landen. Wem der Standardcast aus bulligen Machos, Latex-Ladies und asiatischen Kampfkünstlern nicht zusagt, sollte übrigens zur Erstauflage von Anarchy Reigns greifen. Denn die beinhaltet einen Downloadcode, mit welchem sich Fanliebling Bayonetta freischalten lässt.

Fazit von
7
Anarchy Reigns wird die Gemüter spalten. Und wenn es eine Person wäre, wäre es stolz darauf. Plump, barsch, brutal und hemmungslos liefert Platinum Games ein Spiel ab, das sich in einem sehr vielfältigen Markt als völlig eigenständig präsentiert. Es hat durchaus B-Side-Charakter; grafisch treiben Jack & Co. trotz flüssiger Action beide Konsolen nicht an die Grenze und es fehlt vielerorts an jenem Feinschliff, der Meisterwerke wie Bayonetta und Vanquish auszeichnete. Und doch weiß es ob seines simplen Charmes zu überzeugen, sofern man der Idee von chaotischem Prügelgetümmel nicht gänzlich abgeneigt ist. Die Onlinewelten der Importversion waren indes nach wenigen Wochen leer. Bleibt zu hoffen, dass Anarchy Reigns im Westen einen längeren Atem hat. Der Release-Budgetpreis dürfte dem auf jeden Fall nicht im Wege stehen – und lockt eventuell auch den ein oder anderen Onlinemuffel mit einer kurzweiligen Kampagne in das zerstörte Altambra.
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